Rose Marie Gnausch

Die Inselbewohner und ihre Abneigung gegen den Brückenbau.
Kunstvermittlung: Krücke oder Brücke?

Die Kunsthistoriker
Sie lieben die Kunst und beschäftigen sich mit ihr meist aus der Ferne oder aus der zeitlichen Distanz. Sie haben eine zentrale Position, doch treffen sie die Kunst selten, den Künstler nie. Sie suchen nach der Kunst, die sie subjektiv interessiert und die auf ihrer Wissensschiene aufbaut. Über ihre wertende Funktion hinaus greifen sie nicht nur in den Kunstbetrieb mit ein, sondern werden gar zu wichtigen Akteuren durch die Entdeckung und Wiederentdeckung von künstlerischen Positionen und Werken, die ohne die Historiker keine Präsenz in der Welt hätten. Besonders bekannte Beispiele sind Vermeer und Georges de la Tour, beide tauchen immer wieder in der zeitgenössischen Kunst auf.

Die Kunstkritiker
Sie lieben die Kunst schon ein bisschen weniger rückhaltlos. Sie sind auf der Suche nach dem Neuen, dem Außergewöhnlichen. Sie wollen die zeitgenössische Szene maßgeblich verändern. Das Problem ihrer subjektiven Interpretation lässt sich nur durch Vielfältigkeit abschwächen. Sie prägen die Szene, die Ausstellungskultur, die Rezeption und leider auch die Kunstproduktion, sprich die Künstler. Doch wer, wenn nicht der Kunstkritiker, traut sich wertend in den Dschungel der zeitgenössischen Kunstszene?

Die Künstler
Im Idealfall beseelt oder besessen von ihrer Idee der Welt. Doch meistens in direkter Abhängigkeit zum Kritiker, denn nur durch jenen bekommen sie die Resonanz, die sie brauchen – obgleich sie dies meist leugnen. Sie schaffen die Kunst, was interessieren sie die Kritiker oder gar das Publikum; das wäre mit der Kunst nicht zu vereinbaren. Im Sinne Baudelaires suchen sie nach dem absolut Zeitgenössischen, sie wollen Ausdruck ihrer Zeit sein. Ja, oder: sie suchen nicht und schaffen – meist dann außerhalb des Rampenlichts – oder sie finden...

So wie die Künstler die Kunstkritiker angeblich nicht hören, nicht sehen ... lassen wir das, so wollen auch die Kunsthistoriker und Kunstkritiker oft nicht hören, was die Künstler zu sagen haben. Beide bauen ihre Welten auf – unabhängig voneinander – nur verbunden durch das im Raum befindliche Kunstobjekt. Glücklicherweise gibt es das ja auch noch. Doch die Menschen, sie treffen sich nicht.

Die Kunstvermittler
Wie schon ihr Name sagt, sollen sie vermitteln. Was? Na, Kunst eben. Doch was ist das? fragen jene, denen es etwas zu vermitteln gilt. Jene, das Publikum, die Welt außerhalb der Kunstszene, haben viele Fragen, viel Neugier, viel Interesse. Doch das wird mit Verachtung gestraft. Wenn das Publikum nicht versteht, soll es halt anfangen nachzudenken. "Wir brauchen keine Kunstvermittler, das Werk sagt alles, was ich zu sagen habe," kommentiert der Künstler und weist die Vermittlung kategorisch ab. Vielleicht hat er Recht. Wenn sein Werk für sich alleine sprechen kann, brauchen wir keine Kunstvermittler. Doch liegt es nun an der Kunst, dem Künstler oder dem Publikum, dass die Welt durch ein völliges Unverständnis der zeitgenössischen Kunst bestimmt ist? Elfenbeinturmbewohner, sagen die Einen. Die sollen sich mal anstrengen und nicht alles vorgekaut serviert bekommen, sagen die Anderen.

Das Publikum
Es darf keine dummen Fragen stellen – wieso ist das eigentlich Kunst? – und es wird eingeschüchtert durch jene, die den Kunstbetrieb bestimmen: durch die Vermittler, die Kritiker, die Künstler, die Galeristen ... Krücken kriegen sie keine, Brückenangebote schon gar nicht. Wer ist der Vermittler? Meist ein Kunsthistoriker, manchmal ein Künstler, leider fast nie beides in Personalunion. Wie soll er vermitteln, was er kaum kennen kann, lebt er doch auf seiner Insel, unter den Seinigen.
Das Dilemma der zeitgenössischen Kunstszene: Publikum, Kritiker und Künstler, sie alle leben auf ihren eigenen Inseln, abgetrennt voneinander. Manchmal wollen sie von einer Insel zur anderen und suchen eine Brücke (oder Krücke?), dann wenden sie sich an den Vermittler, den Inselbewohner, der schon mal "drüben" war. Ist es nun ein vorgetäuschtes Interesse des Künstlers am Publikum? Des Publikums an der Kunst? Des Kritikers am Künstler?
Doch letztlich geht es um die Kunst. Ein bisschen Idealismus, bitte. Oder glauben wir etwa nicht mehr an die Kunst? Wenn dem so ist, dann sollten wir es lassen, die vermeintliche Bedeutung, das Besondere, das wir um uns herum aufbauen. Oder aber wir stehen wieder dazu: zur Kunst an und für sich.