Katharina Kaiser / Arne Reinhardt

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A: Schreiben wir eigentlich über Kunst oder Kunstmarkt?
K: Über Kunst
A: Dann ist der Titel des Projekts "Produktivität von Kunst und Diskurs" wie der Wurmfortsatz am Blinddarm. Es sei denn, der Begriff Kunst wird zum Markennamen.
K: Du hast Recht mit Deiner Skepsis. Sehr oft wird mit dem Begriff Kunst wie mit dem Label für eine Ware umgegangen. Ich selbst halte an einem emphatischen Kunstbegriff fest: Für mich bleibt Kunst ein Stück reale Utopie: Sie darf – in einer durch und durch funktionalen, zweckrationalen und vermarkteten Welt – all dieses nicht sein.
A: Wenn Du Utopie im Sinn geistiger Freiheit meinst, ist das o.k.. Für mich hat Kunst eher etwas mit Spiel zu tun. Im Sinne von Novalis: Spielen ist experimentieren mit dem Zufall.
K: ... oder mit Philosophie: Kunst interpretiert die Welt, gibt aber nicht vor, sie zu verändern.
Sie öffnet für ein nicht zielorientiertes Nachdenken über die Welt, wie sie ist und wie sie sein könnte.
Anders als bei den Philosophen beginnt die Welt aber bereits im Material, im Licht.
A: ... Auf der Netzhaut.
K: Auf der Netzhaut?
A: Ja, jedes Licht, jeder Ton, den Du aufnimmst wird – rein physisch – ein Teil
Deines Körpers und damit zu einem Teil Deines Selbst.
K: Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass es in der deutschen Sprache bildende Kunst heißt, in englischen visual arts. Hier sind unterschiedliche Perspektiven angesprochen. Der englische Begriff ist insofern offen für aktuelle Interpretationen, weil er die Betrachter-Sicht einschließt und nicht allein auf eine – notwendig zeitgebundene – Produktionsform – "das Bilden" – fixiert ist.
A: Der "Betrachter" in mir fragt sich gerade, wann mir mal wieder ein saftiges Stück Kunst zwischen die Kiemen geschoben wird.
K: Du hast recht, wenn Du Bilden im Sinn von Materialwerden verstehst: Die Künstler haben ja heute die Möglichkeit, sowohl mit den immateriellen Medien zu arbeiten als auch mit allen zur Verfügung stehenden Materialien und Objekten. Das ist eine Form von Freiheit, die nie so groß war wie in der aktuellen Kunst – als Möglichkeit von Ungleichzeitigkeit und Verfügbarkeit.
A: Meine Bemerkung zielte auf den Betrachter, was ist der für Dich im Zeitalter der augenbesitzenden Maschinen?
K: Ich hätte gern einen besseren Begriff statt Betrachter ... Rezipient trifft auch nicht, was ich meine: Da produzieren die Einen etwas Drittes Uneindeutiges und Unabhängiges: Kunst. Sie ist für die Anderen Anlass für Kommunikation, auch unabhängig von den Produzenten. So ähnlich hat es Rosa Luxemburg formuliert und dabei zuvor ihren Kant gelesen: Kunst als eine Form der Kommunikation (sie sagt "des Verkehrs") der Menschen untereinander – wie die Sprache.
A: Und was wäre dann für Dich das Verhältnis von Kunst und Diskurs?
K: Du hast es ja schon gesagt: eine Verdopplung. Der Begriff Diskurs wird aber meist exklusiv (im wörtlichen Sinn als ausgrenzend) gebraucht und bezeichnet die Selbstverständigung zwischen denen, die im "Betriebssystem Kunst" agieren. So kommt auch niemand auf die Idee, von einem Diskurs zwischen Künstlern und Rezipienten zu sprechen.
A: Warum nicht Mensch? Dieses Wort scheint im Kunst-Diskurs regelrecht vermieden zu werden, dabei ist für uns Künstler die Arbeit ohne ein Gegenüber: den Menschen – undenkbar.
K: War das jetzt ein Diskurs?

(K) Katharina Kaiser
(A) Arne Reinhardt